Das Bürgerkartenfiasko weitet sich aus

2. Dezember 2007

28768 : 132

Was als ungewöhnliches Resultat der österreichischen Fußballmannschaft erscheinen mag ist das Verhältnis der 2006 von der Gemeinde Wien ausgegebenen Wählerkarten. 28768 wurden online bestellt, davon nur 132 mit Bürgerkarte (0,46 % der Onlinebestellungen). Beispiel FinanzOnline: mehr als 1 Mio. Benutzer ohne Bürgerkarte, etwa 4.000 Personen mit Bürgerkarte.

Hans G. Zeger, Mitglied des Datenschutzrates: “Die Bürgerkarte ist für den Bürger eine Zumutung. Es handelt sich um ein technisch fehleranfälliges, undurchschaubares und viel zu kompliziertes System. Es ist datenschutzrechtlich bedenklich und für eGovernment völlig überflüssig. Es gibt eine Fülle von sicheren und einfach handhabbarer Alternativen. Das Bürgerkarten-System wird von der Bevölkerung zu Recht seit sieben Jahren abgelehnt. Wenn am 5.12. mit der Novelle des e-Governement-Gesetzes die Prolongation des Bürgerkartenfiaskos abgenickt wird, dann ist das ein schwarzer Tag für Österreichs Steuerzahler und auch ein Angriff auf Integrität der Staatsbürger.”

Allein die Stadt Wien bietet unter der Bezeichnung “virtuelles Amt” zu 410 Behördengängen Informationen an, 69 davon können Online erledigt werden, in keinem Fall ist die Bürgerkarte zwingend erforderlich. Von den mehreren tausend Behördengängen, die es in Österreich gibt, werden einige dutzend, und die meist nur lokal in Versuchsanwendungen, als Bürgerkartenlösung angeboten.

Unausgegorenes Technokratenprojekt

Erfunden wurde das Projekt von Technikern, die offenbar keinerlei Erfahrung im Bereich Verwaltung haben. Selbst die Techniker können das System nicht bedienen, regelmäßig scheitern Demonstrationen zur Funktionsfähigkeit der Bürgerkarte. Der Versuch, einen simplen Studienbeihilfeantrag einzubringen, dauerte nach Aussagen eines Betroffenen zwei Tage. “Genug Zeit”, so der Kommentar des Betroffenen, “um aus dem Burgenland nach Wien zu fahren.”

Auch wenn der Hauptverband, gemeinsam mit BKA in einer eiligst einberufenen Pressekonferenz die e-Card als Bürgerkarte behübschen will, bleiben die ernüchternden Tatsachen. Es ist ein überflüssiges und für die Entwicklung von eGovernment unnötiges Projekt. Nicht einmal bei der Pressekonferenzvorführung gelang es den verantwortlichen Technikern, die Bürgerkarte fehlerfrei zu benutzen. Gerade mal 20.000 E-Cards wurden als Bürgerkarte freigeschalten, wohl nur ein Bruchteil wurde jemals verwendet.

Damit hat der Hauptverband seine selbst gelegte Latte weit verfehlt. Schon Ende 2006 hätten 50.000 Bürgerkarten ausgegeben werden sollen, ansonsten, so die Zielvorgabe des Gesundheitsministeriums, wäre das Projekt neu zu überdenken. Sollen Zielvorgaben ernst genommen werden, dann ist es hoch an der Zeit sowohl personelle als auch organisatorische Konsequenzen zu ziehen.

Hans G. Zeger: “Es ist geradezu lächerlich, wenn vor knapp zwei Jahren als unterste Latte 50.000 E-Card-Bürgerkarten genannt werden und heute, selbst ein Jahr nach Ablauf der Zielvorgabe das Ziel um mehr als 60 % verfehlt wurde, zur Tagesordnung übergegangen wird. Nur ein sofortiger Stopp des Burgerkartenunsinns kann weiteren Schaden vom Steuerzahler abhalten. Statt weiter Sozialversicherungskapazitäten auf der Spielwiese Bürgerkarte zu verschwenden, sollte die Sanierung der Sozialversicherungen angegangen werden.”

eGovernment-Alternativen funktionieren schon heute

Millionen Bürger nutzen schon jetzt eGovernment und tragen dazu bei, dass die öffentliche Verwaltung sparsamer arbeiten kann. Nur eben ohne Bürgerkarte.

Hans G. Zeger: “Was die Behörden durch funktionierende Onlinelösungen einsparen, wird von einer winzigen Technokratentruppe für Bürgerkartenexpermente verjuxt. Die Sozialversicherungen sind praktisch Pleite, trotzdem gibt der Hauptverband der Sozialversicherungsträger Unsummen aus, um die Bürgerkarte zu promoten. Eine Sache die mit dem Gesundheitswesen überhaupt nichts zu tun hat.”

Diese Vernichtung von Steuergeldern findet unter Aufsicht des Bundeskanzleramts statt und selbst die sogenannte Datenschutzkommission, die ihre Aufsichtsfunktion über den Datenschutz schon seit vielen Jahren aus Personalmangel nicht wahrnehmen kann, wie sie selbst behauptet, betätigt sich als Bürgerkennzeichenbehörde.

Unsere bisherige Verwaltung funktioniert, weil jede Behörde für sich ihren gesetzlichen Aufgaben nachgeht und sich nicht darum kümmert, ob diese Aufgabe in einen abstrakten Bereich hineinpasst oder welche andere Behörden im selben abstrakten Bereich tätig sind. Dieses System der lokalen und begrenzten Verantwortung ist ja auch ein wichtiges Verfassungsprinzip, das einerseits als Gewaltenteilung eine differenzierte und strukturierte Kontrolle erlauben soll und andererseits keine Behörde in die Lage versetzen soll, “alles” über einen Bürger zu wissen. Das Ziel muss daher weiterhin sein, dass auch im eGovernment Behörden ausschließlich nach lokalen Zwecken agieren und dazu reicht die Verwendung von Aktenzahlen oder sonstigen lokalen Nummern ohne Verknüpfungsmöglichkeit mit anderen Verfahren allemal.

Prüfung durch den Rechnungshof überfällig

Die enormen Kosten zur Bürgerkarte werden derzeit in allgemeinen EDV-Projekten versteckt. So müssen die Sozialversicherten die Zusatzkosten für das Experiment E-Card als Bürgerkarte finanzieren. Genauso alle Steuerzahler die Zusatzkosten für die gegenüber den sonstigen eGovernmentanwendungen wesentlich teureren Bürgerkartenlösungen.

Hans G. Zeger: “Derartige Quersubventionierungen sind unzulässig und ein Fall für den Rechnungshof. Es wäre ein Gebot der Korrektheit, dass die Verursacher auch die Zusatzkosten zahlen müssen. Also jene Stellen, die die Bürgerkarte auch tatsächlich benötigen, sollten auch alle Kosten übernehmen.”

Datenschutzrechtlich bedenklich

Geradezu zur geheimen Kommandosache wird die Bürgerkarte, wenn es um die Datenschutzrechte geht. §11 des eGovG definiert: “in Mitteilungen an den Betroffenen oder an Dritte sind bereichsspezifische Personenkennzeichen nicht anzuführen.”

Auf Deutsch, der Bürger soll nicht erfahren, welche Personenkennzeichen die Behörden über ihn verwenden. Eine glatte Verletzung der Informationspflichten des DSG 2000. Was haben die Behörden zu verbergen?

Mit dem “bereichsspezifische Personenkennzeichen” wurde ein Instrument geschaffen, mit dem über Behördengrenzen hinweg zu bestimmten Themen immer dasselbe Personenkennzeichen vergeben wird. Welche Themen das sind, wird in der Bereichsabgrenzungsverordnung definiert (http://ftp.freenet.at/beh/bereichsabgrenzungs-verordnung.pdf). Insgesamt sind es etwa 40 Bereiche, mit so blumigen Bezeichnungen, wie: “Gesellschaft und Soziales”, “Sicherheit und Ordnung”, “Sport und Freizeit”, “Kunst und Kultur”, “Gesundheit”, “Bildung und Forschung” usw.

Zu “Gesellschaft und Soziales” gehören unter anderem: Förderung einzelner gesellschaftlicher Gruppen, wie beispielsweise Volksgruppen, Frauen, Familien, Menschen mit Behinderungen, Generationen, Konsumentenschutz, Kinderbetreuungseinrichtungen, allgemeine Fürsorge, soziale Notrufdienste, soziale Hilfe (soweit nicht gesundheitliche Betreuung), Verwaltung gemeinnütziger Stiftungen

Das bedeutet, wenn man sich mit einem Konsumentenschutzanliegen an das BMSK wendet, eine Volksgruppenförderung beim Land beantragt, einen sozialen Notdienst in Anspruch nimmt und sein Kind zum öffentlichen Kindergarten anmeldet, dann erhält man dasselbe bereichsspezifische Kennzeichen, die Daten sind verknüpfbar, obwohl sie gerade NULL miteinander zu tun haben.

Da aber viele dieser Verwaltungsvorgänge einen Nachweis des Wohnsitzes erfordern, den Nachweis, dass man für die Kinder erziehungsberechtigt ist, müssen die Anträge auch mit anderen Bereichen abgeglichen werden, wie etwa mit dem Bereich “Personenidentität” (Familienstand, Meldeadresse) oder dem Bereich “Gesundheit”, denken wir bloß an den Fall, dass man wegen einer andauernden Erkrankung den sozialen Notdienst benötigt oder wenn man einen Kindergartenplatz für ein behindertes Kind möchte oder mit “Schule”, wenn der Kindergartenplatz auch als Vorschule gelten soll.

Nicht praxistauglich

Tatsächlich gehen Bürgeranliegen im Regelfall über derartige Bereichsgrenzen hinweg, man nehme nur das Beispiel eines gewerblichen Bauvorhabens, das selbstverständlich folgende Themen (=Bereiche) berührt: Arbeit(AR), Bauen (BW), Soziales (GS), Kultus/Religion (KL), Gesundheit (GH), Umwelt (UW), Kultur (KU), Wirtschaft (WT), Abgaben (SA), Statistik (AS). Setzt man das Bauverfahren mit dem Bereichssystem um, dann würde das dazu führen, dass entweder zu einem Akt 10 oder mehr Bereichskennzeichen vergeben werden müssten oder ein Bereichskennzeichen über verschiedenste Themen hinweg verwendet wird, was letztlich die Zusammenführung mit anderen Verwaltungsverfahren erlauben würde.

Ich habe zu dem Thema wohl schon hundert Diskussionen geführt und würde daher sagen von den beschließenden Politikern hat sich noch niemand Gedanken gemacht, welche komplexen Zusammenhänge in der Lebensführung der Menschen bestehen.

Das Konzept ist (a) nicht praxistauglich und (b) wenn man es trotzdem durchdrückt, führt es nach kürzester Zeit dazu, dass alle Behörden entweder alle Bereichskennzeichen verwenden müssen oder man nur ein sogenanntes “bereichsübergreifendes Bereichskennzeichen” verwendet. Man möge sich diese Wortschöpfung auf der Zunge zergehen lassen.

Diese “bereichsübergreifenden Bereichskennzeichen” gibt es tatsächlich schon: Bisher sind dazu Dinge wie “Personalverwaltung”, “Zentraler Rechtsdienst”, “Zentrale Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren”, “Zentrales Verwaltungsstrafregister” definiert, der Bereich “Personenidentität” gehört natürlich auch dazu, da jedes Verwaltungshandeln mit einer Identifikation der Person verbunden ist.

Und was ist bitte ein Bereichskennzeichen “Zentrales Verwaltungsstrafregister”, anderes als die kalte Einführung einer österreichweiten zentralen Strafdatei ohne jegliche öffentliche Diskussion?

Ich würde das Ganze nicht als “Zentralakt” bezeichnen, den gibt es in dieser Form nicht, sondern als sogenanntes Metaregistersystem, d. h. über die bestehenden und gesetzlich geregelten Verwaltungsakte der einzelnen Behörden wird ein Bereichsnummernsystem darüber gestülpt, dass IM BEDARFSFALL/ANLASSFALL erlaubt, Daten eines Bürgers aus verschiedenen Behörden automatisiert abzurufen und zu verknüpfen. Das heißt selbstverständlich nicht, dass bei jedem Antrag auf einen Kanalanschluss das Innenministerium mitlauscht, im Bedarfsfall könnten aber die Daten rasch verknüpft werden.

Im Rahmen des Registerzählungsgesetzes wird diese Verknüpfung schon gesetzlich angeordnet, im Rahmen der Strafprozessordnung wäre sie jetzt schon unter bestimmten Voraussetzungen möglich (“Rasterfahndung”), im Zuge von Rechtsverfahren würden wohl früher oder später die Gerichte entsprechende Auskunfts- und Verknüpfungsaufträge erlassen, zum Zwecke der “Bekämpfung des Sozialschmarotzertums”, “der Schwarzarbeit”, “der Steuerhinterziehung”, “des Missbrauchs der Versammlungsfreiheit”, “der Feststellung der Arbeitswilligkeit”, “des Anspruchs von Pflegegeldzuschüssen”, “der Bekämpfung von Scheinehen”, “der Feststellung der Zuverlässigkeit und Integrationswilligkeit von Ausländern”, … wird man früher oder später Abgleiche verlangen bzw. jetzt schon erlaubte Abgleiche wird man dann auch durchführen können. Erlaubt doch die kontinuierliche Beobachtung aller Behördenkontakte eines Bürgers ein äußerst genaues Bild über “gute” und “schlechte” Staatsbürger zu zeichnen.

Abschließend: Das Bereichskennzeichensystem ist schlicht die Einstiegsdroge zum umfassenden Behördenverbund. Es ist nicht praxistauglich, hier müsste man nur einige individuelle Bürgerbiografien und ihre Anforderungen gegenüber Ämtern analysieren und darstellen. Das System wird daher früher oder später zu einem uniformen Bürgerkennzeichensystem abgleiten, das bestimmten Stellen (nicht allen) erlauben wird, die gesamte Lebensgeschichte eines Bürgers, inklusive aller Verwaltungsverfahren, aller Verwaltungsstrafen, egal wie lang sie zurückliegen, aller Anzeigen und Ansuchen aufzudecken.

Die heutige Argumentation kann sich aber nicht auf dieses Zukunftsmodell beziehen, da dazu schlicht entgegen argumentiert wird, dass man ja eben mit diesen Bereichskennzeichen das zentrale Bürgerkennzeichen vermeiden will.

Die heutige Argumentation muss sich auf die völlige Praxisuntauglichkeit beziehen, die jeder Verwaltungspraktiker bestätigen wird, die sich auch in den geringen Umsetzungszahlen entsprechender Bürgerkartenanwendungen zeigt, die sich daran zeigt, dass etwa das Unterrichtsministerium mit Händen und Füßen gegen ein bereichsspezifisches Bildungskennzeichen sträubt und schlicht bei den Matrikelnummern bleiben möchte.